Stellungnahme Gesetzentwicklung |
Dienstag, 27.06.2023

Stellungnahme zum Gesetzentwurf Sächischer Justizvollzug

27. Juni 2023
Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der sächsischen Vollzugsgesetze die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter dankt für die Möglichkeit, ihre Stellungnahme zu dem vorliegenden Gesetzentwurf abgeben und sich auf diese Weise an dem Gesetzgebungsverfahren beteiligen zu können.

Zunächst möchte die Nationale Stelle positiv hervorheben, dass eine ihrer Empfehlungen in den neu vorgesehenen §§ 28 Abs. 8 des Sächsischen Strafvollzugsgesetzes, 49 Abs. 8 des Sächsischen Jugendstrafvollzugsgesetzes und 28 Abs. 5 des Sächsischen Jugendarrestvollzugsgesetzes berücksichtigt und entsprechend durch den nunmehr vorliegenden Gesetzentwurf teilweise umgesetzt wird. So wird die Möglichkeit sogenannter Videobesuche (Besuche mittels audiovisueller Verbindung) durch die Bestimmungen gesetzlich verankert und gestaltet.

Die Nationale Stelle begrüßt die Anpassung an die Entwicklung der Kommunikation und das damit verbundene Angebot von Videobesuchen, welches eine wichtige Ergänzung der Kontaktmöglichkeiten der Gefangenen bzw. Arrestanten zur Außenwelt darstellt. Allerdings ist eine audiovisuelle Verbindung in der Qualität des Kontakts nicht mit einer persönlichen2 Begegnung im Rahmen eines Besuchs1 gleichzusetzen. Nach Ansicht der Nationalen Stelle sollte die Videotelekommunikation daher grundsätzlich – nicht nur die mit Angehörigen – zumindest nicht vollständig angerechnet werden.

Andere Punkte bleiben aus Sicht der Nationalen Stelle problematisch. Sie möchte im Rahmen ihrer Stellungnahme die Gelegenheit nutzen, um Anmerkungen zu bereits bestehenden Bestimmungen/Grundsätzen vorzubringen, hinsichtlich derer sie eine Veränderung für notwendig betrachtet.

Maßstab der Arbeit der Nationalen Stelle sind die UN-Antifolterkonvention sowie weitere einschlägige UN-Normen, die die Behandlung im Freiheitsentzug betreffen. Darüber hinaus berücksichtigt sie die einschlägigen europäischen Normen und internationale Rechtsprechung, Empfehlungen des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter (CPT) und anderer Organe sowie deutsche Gesetze und Rechtsprechung. Auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse bei ihren Besuchen und unter Berücksichtigung der oben genannten nationalen und internationalen Rechtsgrundlagen und sonstigen Dokumenten, entwickelt die Nationale Stelle Empfehlungen, die zur Verhütung von Misshandlungen und menschenunwürdiger Behandlung im Justizvollzug auch gesetzlich geregelt werden sollten.

Unter diesen Gesichtspunkten möchte die Nationale Stelle die folgenden Anmerkungen zu dem Gesetzentwurf vorbringen:

AKTENEINSICHT

Der vorliegende Entwurf des Gesetzes zur Änderung der sächsischen Vollzugsgesetze sieht keine Veränderung von § 24 des Sächsischen Justizvollzugsdatenschutzgesetzes (Einsichtnahme in Gefangenenpersonalakten, Gesundheitsakten und Therapieakten) vor. Die Nationale Stelle hält eine Veränderung der Bestimmung für notwendig.

§ 24 sieht vor, dass die Mitglieder der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter „auf Verlangen während des Besuchs in der Anstalt Einsicht in die Gefangenenpersonalakten sowie Gesundheits- und Therapieakten [erhalten], soweit dies zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben unbedingt erforderlich ist.“ Die damit verbundenen Einschränkungen stehen nicht im Einklang mit höherrangigem Recht.

1. Einschränkung der Akteneinsicht

Wie der UN-Unterausschuss zur Verhütung von Folter (SPT) verfügt die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter von Gesetzes wegen über ein unbeschränktes Recht auf Akteneinsicht. Der Nationalen Stelle ist nach Artikel 20 des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (OPCAT) die Befugnis zuzugestehen, Zugang zu allen Informationen, die Personen betreffen, denen die Freiheit entzogen ist oder entzogen werden kann. Das Recht der Nationalen Stelle auf Zugang zu allen Informationen, damit auch zu medizinischen und pflegerischen Unterlagen, ist in Artikel 20 lit. b OPCAT umfassend ausgestaltet. Der Bund hat das Fakultativprotokoll am 20. September 2006 unterzeichnet und mit Zustimmungsgesetz vom 26. August 2008 (BGBl. II 2008, Nr. 23) in innerstaatliches Recht umgesetzt. Artikel 2 Abs. 2 des Staatsvertrags weist seinerseits der Länderkommission die in den Artikeln 19 und 20 OPCAT vorgesehenen Rechte zu. Daraus ergibt sich die Verpflichtung auch für das Land Sachsen, dem Nationalen Präventionsmechanismus die im Fakultativprotokoll genannten Rechte zu ermöglichen. Somit ist das Land Sachsen nach Artikel 20 lit. b OPCAT dazu verpflichtet, der Nationalen Stelle Zugang zu allen Informationen, die Personen betreffen, denen die Freiheit entzogen wurde, zu gewähren. Zur Wahrnehmung ihrer Aufgabe ist die Entscheidungsfreiheit, in welche Akten Einsicht genommen wird, unbedingt erforderlich. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass Einrichtungen die Einsichtnahme durch die Nationale Stelle einschränken dürfen. Damit die Nationale Stelle ihre Aufgaben wirksam erfüllen kann, ist der Halbsatz „soweit dies zur Wahrnehmung der Aufgaben des Ausschusses oder der Stelle unbedingt erforderlich ist“ aus dem Gesetzestext zu streichen. Eine entsprechende Veränderung von § 24 des Sächsischen Justizvollzugsdatenschutzgesetzes ist vorzunehmen.

2. Ortsvorgabe für die Akteneinsicht

Zur Wahrnehmung ihrer Aufgabe ist auch die Entscheidungsfreiheit, auf welche Weise die Nationale Stelle ihr Recht auf Akteneinsicht ausübt, unbedingt erforderlich. Nach Artikel 20 OPCAT haben sich die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, den Nationalen Präventionsmechanismen Zugang zu allen Informationen zu gewähren, welche die Behandlung von Personen, denen an Orten der Freiheitsentziehung im Sinne des Artikels 4 die Freiheit entzogen ist, und die

Bedingungen ihrer Freiheitsentziehung betreffen. Es handelt sich folglich um ein unbeschränktes Recht auf Zugang zu Informationen. Neben der Inaugenscheinnahme beinhaltet das Recht auf Akteneinsicht regelmäßig die Befugnis, Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erstellen zu lassen. Um zu gewährleisten, dass die Nationale Stelle ihre gesetzlichen Aufgaben wirksam ausüben kann, ist der Passus „während des Besuchs in der Anstalt“ aus dem aktuell geltenden Gesetzestext zu streichen.

Eins-zu-eins-Betreuung bei Fixierungen

Die aktuellen §§ 84 Abs. 6 des Sächsischen Strafvollzugsgesetzes, 52 Abs. 6 des Sächsischen Untersuchungshaftvollzugsgesetzes, 74 Abs. 6 des Sächsischen Jugendstrafvollzugsgesetzes sowie 89 Abs. 6 des Sächsischen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzes, sehen vor, dass diejenigen Gefangenen, Untersuchungsgefangenen bzw. Untergebrachten, die „über die Absonderung oder die Unterbringung im besonders gesicherten Haftraum hinaus gefesselt oder […] fixiert [sind], […] durch einen für diese Maßnahmen besonders geschulten Bediensteten ständig und in unmittelbarem Sichtkontakt zu beobachten [sind].“

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 2018 (Az. 2 BvR 309/15) sieht hohe Anforderungen hinsichtlich der Durchführung von Fixierungen vor, u.a. dass die fixierte Person ständig und persönlich durch therapeutisches oder pflegerisches Personal überwacht werden muss, welches sich in der unmittelbaren Nähe befindet (Eins-zu-eins-Betreuung, Rn. 83). Die Anforderung einer Eins-zu-eins-Betreuung bei Fixierungen durch therapeutisches oder pflegerisches Personal, welches sich in der unmittelbaren Nähe befindet, ist durch die besonderen Gesundheitsgefahren begründet,3 die während einer Fixierung auftreten können und unmittelbarer fachlich fundierter Reaktion bedürfen. Durch den Einsatz von therapeutischem oder pflegerischem Personal kann zudem deeskalierend auf die Person eingewirkt werden, um eine schnelle Beendigung der Maßnahme zu ermöglichen. Diese Anforderung an die Qualifizierung des Personals muss deshalb aus Sicht der Nationalen Stelle auch bei einer Übertragung des Fixierungsurteils auf andere Orte der Freiheitsentziehung – wie Justizvollzugsanstalten – gelten. Unabhängig vom jeweiligen Ort der Durchführung bestehen die gleichen Gesundheitsgefahren für die Betroffenen. Diese erfordern eine angemessene Betreuung durch qualifiziertes Fachpersonal. Fixierungen dürfen ausschließlich dann durchgeführt werden, wenn die verfassungsrechtlichen Anforderungen gewährleistet werden können. 2 Vgl. § 299 I ZPO. 3 BVerfG, Urteil vom 24.07.2018, Az.: 2 BvR 309/15, Rn. 83.5 Aus Sicht der Nationalen Stelle ist es daher wesentlich, die genannten Bestimmungen insoweit zu verändern, dass der Einschub „geschulte Vollzugsbedienstete“ durch „therapeutisches oder pflegerisches Personal“ ersetzt wird.

Durchsuchung mit Entkleidung

In dem Gesetz zur Änderung der sächsischen Vollzugsgesetze ist lediglich vorgesehen, in § 75 Abs. 3 des Sächsischen Strafvollzugsgesetzes, § 44 Abs. 3 des Sächsischen Untersuchungshaftvollzugsgesetzes, § 65 Abs. 3 des Sächsischen Jugendstrafvollzugsgesetzes, § 80 Abs. 3 des Sächsischen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzes und § 37 des Sächsischen Jugendarrestvollzugsgesetzes das Wort „Anstaltsleiter“ durch das Wort „Anstaltsleitung“ zu ersetzen. Der folgende Grundsatz bleibt bestehen: Die Anstaltsleitung kann – abweichend von dem jeweiligen Abs. 2 der Bestimmungen – allgemein anordnen, dass „bei der Aufnahme“ der Gefangenen bzw. Untergebrachten bzw. Jugendarrestantinnen oder Jugendarrestanten, „vor und nach Kontakten mit Besucherinnen und Besuchern sowie vor und nach jeder unbeaufsichtigten Abwesenheit von der Anstalt in der Regel eine mit Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung vorzunehmen ist“. Durchsuchungen, die mit einer Entkleidung und Inaugenscheinnahme des Schambereichs verbunden sind, stellen nach dem Bundesverfassungsgericht einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar.4 Sie dürfen nicht routinemäßig, unabhängig von fallbezogenen Verdachtsgründen, durchgeführt werden.5 Aus Sicht der Nationalen Stelle sind die gesetzlichen Bestimmungen auf eine Art anzupassen, die sicherstellt, dass eine Durchsuchung, die mit einer Entkleidung und Inaugenscheinnahme des Schambereichs einhergeht, jeweils aus einer Entscheidung im Einzelfall hervorgeht. Darüber hinaus sollte eine die Intimsphäre schonende Durchführung der Maßnahme vorgesehen werden, z.B. in zwei Phasen, bei der jeweils eine Körperhälfte bekleidet bleibt.

Wir bitten Sie, die Nationale Stelle über Ihr weiteres Verfahren zu unterrichten.

Mit freundlichen Grüßen

 

1 Zwischenmenschlich die engste im Vollzug vorstellbare Form der Begegnung. 2 Vgl. § 299 I ZPO. 3 BVerfG, Urteil vom 24.07.2018, Az.: 2 BvR 309/15, Rn. 83. 4 BVerfG, Beschluss vom 05.03.2015, 2 BvR 746/13, Rn. 33; Beschluss vom 23.09.2020, 2 BvR 1810/19, Rn. 21. 5 BVerfG, Beschluss vom 10.07.2013, 2 BvR 2815/11, Rn. 16; BVerfG, Beschluss vom 23.09.2020, 2 BvR 1810/19, Rn. 22. In diesem Sinne vgl. auch EGMR, Urteil vom 22.10.2020, Roth ./. Deutschland, Individualbeschwerden Nrn. 6780/18 und 30776/18, Rn. 69, 72 – Verletzung von Artikel 3 EMRK

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